Fundament von Frieden, Freiheit und Sicherheit!
Anlässlich des sechzigsten Jahrestages der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages am 15. Mai 1955, finden zahlreiche Feiern und Festakte statt. Vieles von dem was sich daraus an Wohlstand und Rechten entwickelt hat ist heute selbstverständlich. Wie bedeutend dieses Ereignis und dieser Vertrag ist, ist uns heute nicht mehr bewußt. Das er Grundlage für alle positiven Entwicklung unserer Heimat, bis hin zum Wohlstand seiner Bürger ist, wird kaum noch bedacht. Vizepräsident a.D. Dr. Peter Konecny hat sich daher mit diesem Ereignis intensiv beschäftigt. Er hat dazu eine Denkschrift (Geschichte des österr. Staatsvertrages und der Neutralität) verfasst die er dem OÖKB- Landesverband dankenswerter Weise zur Veröffentlichung hier zur Verfügung gestellt hat.
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DR. PETER KONECNY
OÖKB – Vizepräsident a.D.
Am 15. Mai feiern wir 60 Jahre Abschluß des
STAATSVERTRAGES
Wir begehen am 26. Oktober 2015 wieder einmal den Österreichischen Nationalfeiertag.
Nach 1955 bestand Unsicherheit, wie und ob man den 26. Oktober überhaupt festlich begehen soll. Es gab vorerst den Tag der Fahne, dann wurde das Gesetz über den Nationalfeiertag beschlossen. Erst Jahre später wurde dieser Tag durch ein weiteres Gesetz auch arbeitsfrei gestellt. Seit diesem Zeitpunkt verwendet der überwiegende Teil der Österreicher diesen Tag für Einkaufsfahrten nach Bayern oder nach Tschechien oder verbringt diesen Tag, soferne er günstig fällt, zu Törggelenfahrten nach Südtirol. Die in Österreich Verbleibenden nehmen eventuell an einem Wandertag teil.
Es begann 1943
Fast niemand weiß aber noch, wie es zu diesem 26. Oktober 1955 kam. Es sei mir daher gestattet, die Geschichte des Staatsvertrages und damit verbunden die Geschichte der österreichischen Neutralität und des Neutralitätsgesetzes kurz in Erinnerung zu rufen:
Am Beginn steht die MOSKAUER ERKLÄRUNG vom 1. November 1943. Das Ende des 2. Weltkrieges zeichnete sich ab und so wurde im Anhang 6 der Konferenz von MOSKAU festgehalten, daß ÖSTERREICH als das erste freie Land, das der Angriffspolitik · HITLERS zum Opfer fiel, befreit werden sollte.
Originalzitat: „Österreich wird aber auch daran erinnert, daß es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und daß anläßlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird.“
DIE BEFREIUNG UND BESETZUNG
Im Mai 1945 wurde ÖSTERREICH wohl befreit, jedoch von den Siegermächten vierfach besetzt. Insbesondere wir MÜHLVIERTLER kennen aus Erzählungen oder eigenem Erleben die schwere Last der russischen Besatzung. Wie es ÖSTERREICH und den ÖSTERREICHERN erging, können die Worte aus der Weihnachtsansprache 1945 des Bundeskanzlers FIGL am besten verdeutlichen: “Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich.“
1946 begannen die Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag, von dem Optimisten meinten, er würde in einigen Monaten abgeschlossen werden können. Jedoch dauerte es, wie bekannt, fast zehn Jahre, bis ÖSTERREICH endgültig frei wurde. Da ÖSTERREICH als Staat von 1938-1945 nicht bestand, konnte kein Friedensvertrag, sondern nur ein Vertrag eigener Art, eben der Staatsvertrag, abgeschlossen werden.
HINDERNISSE AUF DEM WEG ZUM STAATSVERTRAG
Hindernisse auf dem Weg zum Staatsvertrag waren insbesonders:
• die SÜDTIROL-Frage, die mit dem sogenannten „GRUBER-DEGASPERI-Abkommen“ am 15.9.1946 gelöst wurde
• völlig überraschende jugoslawische Gebietsforderungen, sowie
• die Frage des deutschen Eigentums.
JUGOSLAWISCHE GEBIETSANSPRÜCHE
Auf der Londoner Konferenz 1947 wurde die österreichische Delegation mit jugoslawischen Gebietsforderungen konfrontiert, die im Süden von KÄRNTEN ein Gebiet von 2.4 70 km2 und in der STEIERMARK rund 130 km2 umfaßten. Durch diese Forderungen sollte die Kärntner Volksabstimmung des Jahres 1920 außer Kraft gesetzt werden. Die SOWJETUNION hat vorerst JUGOSLAWIEN massiv unterstützt, lediglich die Entfremdung TITO’s und STALIN’s brachte es mit sich, daß das österreichische Staatsgebiet unangetastet blieb.
DEUTSCHES EIGENTUM
In der Frage des deutschen Eigentums war ÖSTERREICH trotz den beiden Verstaatlichungsgesetzen nicht erfolgreich. Seitens der SOWJETUNION wurden in dem von ihr besetzten Teil ÖSTERREICHS praktisch die gesamte Schwerindustrie und Ölindustrie in russische Verwaltung genommen und mußte im Staatsvertrag das deutsche Eigentum durch Naturallieferungen abgelöst werden.
DER EISERNE VORHANG
Im November 1949 schien der Durchbruch geschafft, da verband die SOWJETUNION den österreichischen Staatsvertrag mit der DEUTSCHLAND-Frage. Es hatten nach der kommunistischen Machtübernahme in UNGARN und der TSCHECHOSLOWAKEI 1948 auch in WESTEUROPA wesentliche Änderungen stattgefunden. Die westlichen Besatzungszonen in DEUTSCHLAND wurden als Bundesrepublik DEUTSCHLAND mehr oder weniger selbständig, während die Ostzone unter sowjetischer Oberherrschaft blieb, der“Eiserne Vorhang“ rasselte in EUROPA herab.
DEUTSCHLAND wurde wirtschaftlich und auch politisch in den Westen integriert. Diese Integration, die 1954 auch zur Aufnahme DEUTSCHLANDS in die NATO führte, wurde von der SOWJETUNION dazu verwendet, ÖSTERREICH den Staatsvertrag „bis zur Lösung der deutschen Frage“ zu verwehren.
Statt warten auf den Friedensvertrag mit Deutschland, ein eigener Staatsvertrag mit Österreich!
In ÖSTERREICH fand der Regierungswechsel FIGL-RAAB statt und schlug der Letztere eine gemäßigte Politik gegenüber der Sowjetunion ein. Seine Worte „Es nützt nichts, wenn man den russischen Bären, der mitten im österreichischen Garten drinnensteht, immer wieder durch laut tönende Sonntagsreden in den Schwanzstummel zwickt“, zeigen die Änderung der österreichischen Haltung am besten. Die österreichische Politik erkannte, daß der österreichische Staatsvertrag von der deutschen Frage getrennt werden müsse. Österreich versuchte daher, mit Bündnisfreiheit und Neutralität den Staatsvertrag zu erreichen. Da Österreich besetzt und während des Krieges Teil des Deutschen Reiches war, war es kein souveräner Staat bei Kriegsende. Da die Eigenstaatlichkeit aber Voraussetzung für einen Friedensvertrag ist brauchte es eine andere Lösung. Den Staatsvertrag – zur Anerkennung seines völkerrechtlichen Status und zur unter Klärung seiner Verpflichtungen aus dem Krieg.
DIE NEUTRALITÄT
Der völkerrechtliche Begriff der Neutralität betrifft im wesentlichen die Haltung eines Staates, sich an einem bestimmten Krieg zwischen anderen Staaten nicht zu beteiligen. Als Muster für eine österreichische Neutralität bot sich die Schweiz an und wurde die Neutralität als eine mögliche Voraussetzung für den Staatsvertrag insbesondere vertreten vom seinerzeitigen Bundespräsidenten Theodor KÖRNER und Prof. Heinrich RAAB, dem Bruder des Bundeskanzlers.
Die österreichische Innenpolitik konnte sich vorerst damit nicht anfreunden, allerdings wurde der seinerzeitige indische Ministerpräsident NEHRU, ein prominenter Vertreter der blockfreien Staaten, ersucht, in MOSKAU vorzufühlen. Auch der finnische Staatspräsident KEKKONEN wurde kontaktiert. Bei der Berliner Außenministerkonferenz im Jänner 1954 wurde von österreichischer Seite offiziell die Neutralität in die Diskussion eingebracht. Allerdings wurde immer betont, daß ÖSTERREICH eine Neutralität nur aus freien Stücken eingehen könne. Eine von außen diktierte Neutralisierung ÖSTERREICHS wurde abgelehnt.
Der Abschluß des Staatsvertrages bei der BERLINER KONFERENZ scheiterte daran, daß ÖSTERREICH sich nicht bereiterklären konnte, die Besatzungstruppen solange in ÖSTERREICH zu belassen, bis ein Friedensvertrag mit DEUTSCHLAND abgeschlossen sein würde.
VOR DER ESKALATION DES KALTEN KRIEGES
Das Jahr 1954 war in EUROPA von einer weiteren Verschärfung des Gegensatzes zwischen dem WESTEN und der SOWJETUNION gekennzeichnet, insbesondere ab dem Zeitpunkt, als die BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND am 25.10.1954 der NATO beitrat. Dieser NATO-Beitritt DEUTSCHLANDs war es aber, der die SOWJETUNION zu einer Änderung ihrer Haltung in der österreichischen Frage veranlaßte. Die SOJWETUNION löste das österreichische Problem vom deutschen Friedensvertrag und zwar auch aus der strategischen Überlegung, daß die neutrale SCHWEIZ und ein zumindest bündnisfreies ÖSTERREICH einen territorialen Riegel zwischen den NATO-Staaten im Norden und den NATO-Staaten im Süden EUROPAS bilden.
Das Jahr 1955 sollte den endgültigen Durchbruch bringen. Am 8. Februar 1955 hielt der sowjetische Außenminister MOLOTOW eine außenpolitische Grundsatzrede, in der u.a. die Verzögerung des österreichischen Staatsvertrages für ungerechtfertigt angesehen wurde. Der Abzug der Besatzungstruppen aus ÖSTERREICH könne auch zu einem Zeitpunkt erfolgen, der vor dem Friedensvertrag mit DEUTSCHLAND läge. ÖSTERREICH müßte sich aber verpflichten, keinerlei Militärbündnisse einzugehen. Die österreichische Regierung werde diesbezüglich zu Verhandlungen eingeladen.
Nach Rücksprache mit den Westalliierten USA, GROSSBRITANNIEN und FRANKREICH nahm ÖSTERREICH Fühlung mit der SOWJETUNION auf. ÖSTERREICH erhielt Ende März eine Einladung zu Gesprächen in MOSKAU und wurde beschlossen, eine Regierungsdelegation zu entsenden. Diese bestand aus Bundeskanzler RAAB, Vizekanzler SCHÄRF, Außenminister FIGL und Staatssekretär KREISKY. In schwierigen Verhandlungen zwischen dem 11. und 14.4.1955 wurden die noch fehlenden Bestimmungen des Staatsvertrages ausgehandelt und dabei u.a. eine bedeutende Verringerung der Reparationszahlungen an die SOWJETUNION erzielt.
NEUTRALER RIEGEL ZWISCHEN NORDEN UND SÜDEN
Hinsichtlich der österreichischen Neutralität konnte die Regierungsdelegation keine vertragliche Vereinbarung schließen, da das gesetzgebende Organ in ÖSTERREICH das Parlament ist. Die Moskauer Deklaration enthält daher nur eine sogenannte Verwendungszusage. Die für die Neutralität wichtigen Punkte der Moskauer Deklaration lauten:
„1. Im Sinne der von Österreich bereits auf der Konferenz von Berlin im Jahre 1954 abgegebenen Erklärung, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und militärische Stützpunkte auf seinem Gebiet nicht zuzulassen, wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird.
2. Die österreichische Bundesregierung wird diese österreichische Deklaration gemäß den Bestimmungen der Bundesverfassung dem österreichischen Parlament unmittelbar nach Ratifikation des Staatsvertrages zur Beschlußfassung vorlegen. „
Nach Rückkehr der Delegation nach Österreich wurden mit den Westalliierten die abschließenden Verhandlungen geführt und in der Botschafterkonferenz vom 2. bis 13. Mai 1955 in Wien die Endfassung des Staatsvertrages erarbeitet. Am 14. Mai 1955 gelang es Außenminister FIGL noch, die Mitschulderklärung Österreichs am 2. Weltkrieg aus der Präambel des Vertrages heraus zu verhandeln.
DIE GUNST DER STUNDE – IM LETZTEN MOMENT!
Am selben Tag wurde auch der WARSCHAUER PAKT, das Gegengewicht des Ostblocks zur NATO, gegründet. Daher sei nochmals an das Interesse der UDSSR am neutralen Querriegel durch Europa aus Österreich und Schweiz erinnert. Mit dem wenig später ausgebrochene Aufstand in Ungarn und der sich verschärfende „Kalte Krieg“ hat sich das Zeitfenster geschlossen in dem der Abschluss eines solcheb Vertrages mit allen Beteiligten möglich gewesen wäre.
Am 15. Mai 1955 wurde der Staatsvertrag unterfertigt und verkündete unter dem Jubel der Bevölkerung Außenminister FIGL
„Österreich ist frei! „
Parallel dazu liefen die Verhandlungen zwischen den Parteien für das Neutralitätsgesetz, wobei aber Einigkeit darüber bestand, daß erst nach Abzug des letzten ausländischen Soldaten dieses Gesetz im Nationalrat beschlossen werden sollte. Am 25. Oktober 1955 . verließ der letzte Besatzungssoldat Österreich und wurde am 26.10.1955 in einer Festsitzung des Nationalrates das Neutralitätsgesetz beschlossen.
ÖSTERREICH erklärte daher als vollkommen souveräner Staat seine immerwährende Neutralität. Die Worte des Bundeskanzlers RAAB, die dieser bei diesem Festakt gesprochen hat, sollen uns immer in Erinnerung bleiben: „Durch den Gesetzgebungsakt werden in keiner Weise die Grund- und Freiheitsrechte der Staatsbürger beschränkt. Die Neutralität verpflichtet den Staat, nicht aber den einzelnen Staatsbürger. Die geistige und politische Freiheit des einzelnen, insbesondere die Freiheit der Presse und der Meinungsäußerung, wird durch die dauernde Neutralität des Staates nicht berührt. Damit ist auch keine Verpflichtung zur ideologischen Neutralität begründet. Ich will weiters hervorheben, daß die militärische Neutralität, die Sie, meine Damen und Herren, heute beschließen werden, keinerlei Verpflichtungen und Bindungen auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet beinhalten wird“.
Das Jahr 1955 endete mit der feierlichen Aufnahme Österreichs als Mitglied bei den Vereinten Nationen am 14. Dezember 1955.
So fand das annus mirabilis der 2. Republik sein glückliches Ende.
Es war der Ausgangspunkt für die weitere internationale Entwicklung eines freien und neutralen Kleinstaates, der sich, von der schweren Last der Besatzer befreit, anschickte, seine eigenständige Stellung in EUROPA und in der Welt aufzubauen.