Eine denkwürdige Reise beginnt.
Am Sonntag, den 2. Juni 2024, zeitig am Morgen packe ich die letzten Dinge ein und mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Das Wetter ist regnerisch und kühl. Als ich in Summerau in den Zug einsteige, frage ich mich immer wieder, wie es den jungen Männern, die als deutsche und österreichische Soldaten vor 80 Jahren einrückten, ergangen ist, als sie womöglich von einem Heimaturlaub ihren Weg zurück in den Westen antreten mussten. Ergeht es jenen, die heute in der Ukraine oder Russland einberufen werden, wieder genauso? Können wir uns als Kinder einer Friedensgeneration das Gefühl überhaupt vorstellen, in einen Krieg ziehen zu müssen? Eine Reise ins Ungewisse anzutreten, in der man sich stets die Frage stellt, ob man je wieder zurückkehren wird? Wie war es für jene, die vor 80 Jahren mit der schrecklichen Ahnung einrückten, dass vermutlich schon bald in Frankreich eine Invasion stattfinden wird? Mit diesen Gedanken blicke ich nachdenklich in die idyllische böhmische Landschaft und beobachte die Regentropfen, die am Fenster herunterlaufen.
Mit Freunden von Prag bis in die Normandie.
Doch für mich geht die Reise zuerst in Richtung Norden nach Prag. Dort treffe ich einen deutschen Offizierskameraden und zwei weitere Freunde. Seit dem Young-Reserve-Officers-Kongress im Jahr 2022 in Athen verbindet uns eine kameradschaftliche Freundschaft. Von Prag aus machen wir uns mit dem Auto auf den Weg über Nürnberg, Saarbrücken und Metz bis nach Verdun, wo wir übernachten.
Nach einer Besichtigung der Schlachtfelder und Festungen des Ersten Weltkrieges am nächsten Tag, geht es weiter in Richtung Normandie. Über Reims und Amiens fahren wir bis Benerville-sur-Mer. Dort beziehen wir am Abend, nach insgesamt über 1.300 zurückgelegten Kilometern, unsere Unterkunft. Die Freude nun endlich an der Atlantikküste angekommen zu sein, überdeckt alle Anstrengungen und Müdigkeit.
Angekommen in Point du Hoc und am Omaha Beach
Am nächsten Morgen brechen wir zur Pointe du Hoc und dem Omaha Beach, zwei entscheidende Orte der Kämpfe am 6. Juni 1944, auf. Dabei begegnen uns unzählige historische US-Jeeps und Menschen in historischen Uniformen. Auch einer Hand voll hochbetagter amerikanischer Weltkriegsveteranen begegnen wir am Weg zum Strand. Sie sind umringt von Menschen, die sich für ihren Einsatz bedanken und um gemeinsame Fotos bitten.
Heute eine Idylle, damals die Hölle!
Am Omaha Beach besichtigen wir einige ehemalige deutsche Stellungen und Bunker und blicken von dort auf das hügelige Gelände und den Strand. Dabei denke ich an die Schilderungen im Buch von Heinrich Severloh, dem deutschen Soldaten, der am Omaha Beach im Widerstandsnest 62 als MG-Schütze eingesetzt war und dort über 2.000 schutzlose alliierte Soldaten vor sich hinmetzelte. Heute ist dieser Strand friedlich. Alles ist ruhig, lediglich einige Strandsegler und Spaziergänger laufen herum. Die Stille, gepaart mit der idyllischen Landschaft und dem seichten Wellengang, lässt nicht vermuten, welch grausames Morden am 6. Juni 1944, dort vor sich ging. Exakt vor 80 Jahren war dies der letzte und schrecklichste Ort, an dem man sein wollte.
Der Abschnitt, an dem die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten des 6. Juni mit US-Präsident Biden und weiteren namhaften Persönlichkeiten sowie Veteranen stattfinden, ist für die breite Öffentlichkeit gesperrt.
In La Cambe beim Grünbacher Bauernsohn Josef Stöglehner.
Wir besuchen deshalb den deutschen Soldatenfriedhof in La Cambe und entzünden für alle Gefallenen eine Kerze. Mehr als 21.000 deutsche Soldaten, auf die Eltern, Kinder und Frauen vergeblich zuhause bangend warteten, liegen hier. Sie haben zwischen Juni und August 1944 in diesem sinnlosen Krieg ihr Leben verloren.
Zeremonien und Spektakel auf historischem Boden.
Die historischen Landungsstrände sind voll mit Menschen. In Zeremonien gedenken sie der Gefallenen. Immer wieder kreisen Flugzeuge über den Stränden und Fallschirmjäger springen ab. Die Straßen sind geschmückt mit den Flaggen der Alliierten. Dabei wird einem die hohe Bedeutung dieses Tages, als Ausganspunkt zur Befreiung der europäischen Länder, bewusst. Dies wird auch durch die zahllosen Franzosen, Amerikaner, Kanadier, Engländer und Deutschen, die in die Normandie gereist sind, deutlich.
Wahre Menschenmassen sind in der ersten Juni-Woche 2024 in die Normandie gekommen. Einer der Besucher berichtet uns, dass es heuer so viele wie noch nie waren. Obwohl oder weil die echten Veteranen immer weniger werden, nehme die Kommerzialisierung und damit der Andrang zu dem Spektakel um die alljährlichen Feierlichkeiten zu.
Denkwürdige und beeindruckende Erinnerungen
Alles in allem wird mir diese Woche als unvergessliches Erlebnis in Erinnerung bleiben. Für mich sind die D-Day Feierlichkeiten vor allem ein Zeichen der Völkerverständigung und Versöhnung. Gerade die Völkerverständigung ist Grundlage für ein friedliches Miteinander der Völker. Sie ist auch eines der Ziele des Kameradschaftsbundes. Deshalb bin ich stolz als Kamerad und Obmann Teil dieser Gemeinschaft zu sein.