Bericht: WASHINGTON POST „TODAYS WORLD VIEW“ von Ishaan Tharoor und Ruby Mellen – 8. Mai 2020″
Corona – Kalamitäten – USA und Großbritannien
Auf beiden Seiten des großen Teiches ist der Vergleich des Umganges mit der Corona-Pandemie düster. In Großbritannien charakterisieren Boulevardzeitungen die Zahl der Coronavirus-Toten, die heute die höchste in Europa sind, als „schlimmer als der Blitz“ (Blitz=Angriffe der Luftwaffe im WKII). In den Vereinigten Staaten gehen die internen Befürchtungen des Weißen Hauses davon aus, dass das Land bis zum 1. Juni durchschnittlich 3.000 Todesopfer pro Tag zu beklagen haben wird – das entspricht, wie Kritiker bemerkten, in etwa der Zahl der Todesopfer von 9/11, die sich Tag für Tag wiederholt.
Es gibt natürlich wichtige Vorbehalte bei der Messung der nationalen Pandemie-Fälle. Jedes Land tabellarisiert seine Coronavirus-Todesfälle anders, was bedeutet, dass das, was als Coronavirus-assoziierter Tod kategorisiert wird, unterschiedlich ist. Das Weiße Haus konzentriert sich auch schnell auf die Pro-Kopf-Todesraten und verweist auf die viel größere Bevölkerung der USA im Vergleich zu den am schlimmsten betroffenen europäischen Ländern.
Dennoch sind die USA und England die beiden Nationen, in denen das Coronavirus bisher die meisten Menschen getötet hat. Und das Schlimmste scheint noch immer nicht vorbei zu sein, denn Experten sagen bis in den Sommer hinein Tausende von Todesfällen pro Tag voraus. Bei all dem Gerede über die besonderen Bande, die beide Länder verbinden, ist dies eine bedauerliche Ehre, die sie zur Zeit der Pandemie verbindet.
Wir haben eine ziemlich klare Vorstellung davon, was schiefgelaufen ist. In beiden Ländern gingen die verantwortlichen Führer zunächst lax mit der drohenden Gefahr um. Ende Februar jubelte Präsident Trump, dass in den USA kaum jemand am Virus gestorben ist und dass dieser in den kommenden wärmeren Monaten „auf wundersame Weise“ verschwinden wird. Es scheint als hätte er die Zahl von 100.000 Todesopfer in Kauf genommen. Ein Verlust an Menschenleben, der größer sein könnte als die Zahl aller amerikanischen Kriegsopfer des letzten halben Jahrhunderts.
In Großbritannien setzte Premierminister Boris Johnson zunächst auf das Konzept der „Herdenimmunität“ und verzichtete auf härtere Maßnahmen, wie sie seine europäischen Amtskollegen bis Ende Februar ergriffen hatten. Erst als Wissenschaftler in London schlimme Vorhersagen machten und vor einer Viertelmillion Todesopfer warnten, änderte Johnsons Regierung ihren Kurs. Diese ordnete dann Restriktionen und soziale Distanzierung an. Doch der Schaden war bereits angerichtet. Die Infektionen schossen in die Höhe, und der Premierminister selbst verbrachte nach seiner Ansteckung mit dem Virus mehrere Tage auf der Intensivstation.
Das Hauptproblem, mit dem beide Länder kämpften, waren die Anzahl der Tests und ihre Rückverfolgung. Obgleich Trump die später hochgefahrene Operation in der USA hochjubelte, ist sie bis heute unzureichend, und monatelange Verzögerungen und Engpässe machten es unmöglich, die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu bringen. Und der Präsident der darauf bedacht war unabhängig von den Ratschlägen der Gesundheitsbehörden, alles im Lande „schnellstens wieder zu öffnen“, um die wankende Wirtschaft wiederzubeleben, hat sich besorgt über die Optik durch die Registrierung weiterer bestätigter Infektionen geäußert. „In gewisser Weise lassen uns all diese Tests doch nur schlecht aussehen“, sagte er diese Woche.
Großbritannien hat sich schwer getan, im Gegensatz zu den erfolgreicheren Beispielen in Deutschland und Südkorea, Tests außerhalb von Krankenhäusern durchzuführen. Sogar in der letzten Woche, als die Todesfälle weiter zunahmen, gab die Regierung zu, dass sie ihre eigenen täglichen Testziele verfehlt hatte.
Die Pandemie hat die in beiden Ländern herrschenden Bedingungen im Gesundheits- und Sozialsystem offenbahrt. In Großbritannien hatte der geliebte National Health Service den Druck jahrelanger Sparmaßnahmen in aller Härte zu spüren bekommen. Das medizinische Personal an vorderster Front klagte über einen drastischen Mangel an Schutzausrüstung. In den Vereinigten Staaten zwang das kaum vorhandene soziale Sicherheitsnetz Millionen dazu, weiter zu arbeiten, selbst wenn dies auf Kosten ihrer Gesundheit ging. Und wie in anderen Teilen der Welt haben auch in diesen beiden Ländern Minderheiten und Arme unverhältnismäßig stark gelitten. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass Schwarze am Coronavirus sterben in England nach neuesten Daten viermal so hoch wie für Weiße.
Und dann ist da noch der Umgang der Politiker mit der Pandemie. In den Vereinigten Staaten wird die Pandemie durch die parteipolitische Brille gesehen. Umfragen zeigen, dass die Anhänger des Präsidenten weniger besorgt über die Pandemie sind als seine Gegner. Sechs Monate nach den Präsidentschaftswahlen greift Trump weiterhin die Medien an und macht seine Rivalen für die Belastungen die das Land ertragen muss, verantwortlich.
Doch dieser Ansatz hat seine Grenzen, weil sie auch dem Präsidenten die Abschaltmaßnahmen erleichtert. „Im Gegensatz zur Presse kann das Coronavirus nicht unter Druck gesetzt werden. Anders als Beamte, die Missstände melden – kann es weder entlassen noch degradiert werden“, schrieb Helen Lewis von der Atlantic; „Dem Virus ist es egal, ob Sie ihm unterstellen, dass es unpatriotisch sei. Es wird auch nicht durch ungetestete oder gefährliche Heilmittel, die Sie gerade erfunden haben, abgelenkt. Es liest auch keine Twitter-Botschaften.“
Großbritannien, das in allen möglichen Fragen tief gespalten ist, hat trotzdem während der Pandemie nicht die gleiche Art von politischer Polarisierung erlebt. „Apolitische Institutionen wie die Monarchie bewähren sich stets in Zeiten einer Krise. Die Heimatfront besinnt sich des „Blitzgeistes“ und mobilisiert damit ausserordentliche Kräfte aus dem kollektiven Gedächtnis des Landes“, schrieb Oliver Wiseman in Politico. „Großbritanniens frei zugängliches Gesundheitssystem hat sich während der Pandemie als Sammelzentrum bewährt“, schrieb Oliver Wiseman in Politico. Diese Institutionen hat alle Gruppen über parteipolitischen Grenzen in den schwierigen Zeiten gesammelt, schrieb Oliver Wiseman in Politico.
Johnsons Regierung kann zumindest ein gewisses Maß an menschlichem Mitgefühl für diejenigen aufbringen, die geliebte Menschen verloren haben. „Eine Leistung, der sich Präsident Trumpf weiterhin entzieht“, schrieb der Guardian-Kolumnist Jonathan Freedland. „Sie haben sich zumindest – letztendlich – hinter der einzig logischen „Bleiben Sie zu Hause“-Botschaft zusammengeschlossen, anstatt diesen Rat auf Schritt und Tritt zu untergraben“.
In beiden Ländern treten nationalistische Politiker für den über allem stehende Grundwert der individuellen Freiheit ein. Dieser Dogmatismus erwies sich in der Pandemie als tödlich.
„Der künstlich hochgespielte Mythos der alles rechtfertigenden Liebe zur persönlichen Freiheit als Kennzeichen der nationalen Werte. Die tiefe Abneigung gegen jede kleinste Einschränkungen der persönlichen Freiheit sowie gesellschaftlicher Zusammenkünfte sind gegen jede Vernunft wenn sie lebensrettend Maßnahmen sind, schrieb der irische Kommentator Fintan O’Toole als Reaktion auf die provokanten Pub-Besuch Johnsons Ende März. Der Premier wollte damit, trotz höchsten Ansteckungsrisikos, das „alten, unveräußerlichen Recht“ der Briten, ins Pubs zu gehen, zelebrieren.
Den gleiche Eindruck löst die mangelnde Bereitschaft vieler Beamte in den USA aus, wenn es darum geht Sperren einzuführen. „Andere Menschen könnten sich mit so etwas abfinden, aber nicht die Engländer“, fügte O’Toole hinzu und stellte fest: „Auf dem Altar dieses Ausnahmezustands sind zahlreiche Leben geopfert worden!“ In Großbritannien gab es im März und April 43.000 mehr Todesfälle als die nach britischen Zählweise die nur 22.000 gemeldeten Covid-Todesfällen ausgewiesen hat.
Quellenangabe:
Todays World View – Beitrag von Ishaan Tharoor mit Ruby Mellen in der Washington Post vom Freitag, den 8. Mai 2020.