Hart, dass ich nicht lache!

Lockdown, Tests, Impfung,… wie hart ist das den?

Wer das „Glück“ hatte schon einmal mit älteren MitbürgerInnen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration die noch wirklich Schlimmes ertragen, erleben und überstehen mussten, über „schwere“ Zeiten gesprochen zu haben, wird demütig. Diesen Menschen ist Härte und Selbstdisziplin in einem Maß abverlangt worden, dass wir uns nicht einmal vorzustellen vermögen. Angesichts dessen ist das was heute von manchen an „Selbstmitleid“ wegen der Einschränkungen durch Corona in die mediale Runde getragen wird, zum Lachen. Ja, wenn es nicht schon so lächerlich wäre, dass man heulen müsste.

Auch heute hört man gerade die armen, älteren und hilfsbedürftigen MitbürgerInnen für die, die derzeitige Situation eine zusätzliche Erschwernis  ihres Lebens ist, nicht klagen.  Es ist für sie sicher auch nicht angenehmer als für andere. Sicher ist es für viele wirtschaftlich auch nicht einfach und manche kommen kaum über die Runde. Es ist auch für viele andere wirtschaftlich nicht einfach, aber im Vergleich dann doch. Aber nehmen wir zur Kenntnis, dass es uns trotzdem im Vergleich sehr gut geht.

Weil, der Vergleich die Wertigkeit verändert.

Als über die „Hamsterkäufe“ beim Klopapier in den Medien berichtet wurde, fiel mir das Gespräch mit einem mittlerweile verstorbenen Kameraden ein. Nicht, weil man zu dieser Zeit im Notfall Zeitungen für dieses Geschäft in zweiter Nutzung verwendete, sondern weil es mir heute zeigt, dass der Augenblick bzw. die Situation oft den Wert der Dinge stark verändert.

Klopapier hinterm Ural! 

Bei einem Besuch bei dem mittlerweile verstorbenen Kameraden RegR Max Palnsdorfer, erzählte er mir folgende Geschichte, die sich im Februar 1947 zugetragen hatte. Er war damals Kriegsgefangener in einer russischen Eisenbahnbrigade. Es hatte 60 Grad unter Null! Das war normal um diese Jahreszeit im asiatischen Ural. Es war oft wochenlang so kalt berichteten die Einheimischen. Meistens musste er mit den Kameraden Schnee schaufeln. Es türmten sich riesige Schneewehe auf den Geleisen der damals so wichtigen  Eisenbahnstrecken durch den Ural. Sogar die gewaltigen russischen Dampfloks mit ihrem Schneepflug blieben dann in Schnee und Eis nach den tagelangen Schneestürmen stecken. Die mussten die Kriegsgefangenen mitsamt den Waggons ausschaufeln und vom Eis frei hacken. Wie er betonte: „Eh nur“ fünf eisige Stunden pro Tag! Wie er meinte, ging es ihm daher im Vergleich zu Kameraden in anderen Gefangenenbrigaden, bei denen der Tag viel länger war, noch gut. Aber wenn man genau hinhörte, merkte man wie unvorstellbar hart es gewesen sein muss bei 58 Grad Kälte in Fetzen gehüllt zum Schneeräumen auszurücken.

Die Arbeit bei sibirischen Temperaturen hatte oft genug fürchterliche Folgen. Auch ihm wurde sie fast zum Verhängnis. Als Kälteschutz hat er sich ein Stück Hemd vor den Mund gebunden. Der feuchte Atem schlug sich darunter nieder. In kürzester Zeit war die ganze Haut darunter erfroren und löste sich in großen Fetzen vom ganzen Gesicht.

Es wurde in kürzester Zeit eine einzige, große, offene Wunde die sofort furchtbar zu eitern begann. „Max, du schaust fürchterlich aus! Nur gut, dass wir keinen Spiegel haben!“ sagte der Münchner Arzt, der ihn als Kriegsgefangener im Lagerlazarett versorgte. Es gab kaum Medikamente geschweige denn antiseptisches Verbandsmaterial. Zweimal täglich hat er ihm das Gesicht mit einer russischen Salbe einschmiert, die zur Behandlung  aller Wunden verfügbar war. Eine schmerzhafte Prozedur die so weit ja noch als normale Behandlung anzusehen war. Aber woher sollte er für so einen sensiblen Wundbereich hygienische Verbände bekommen?

Woher hygienische Verbände bekommen?

Wenn, die Wunden aber nicht abgedeckt würde, wäre mit völliger Vernarbung des Gesichtes zu rechnen. Für den Doktor stellte sich die Frage, woher bekommt man hygienisch einwandfreies Verbandsmaterial. In der Not griff der Bayer dann zu einem ungewöhnlichen Verbandsmaterial. Nach kurzer Überlegung griff er zu deutschem Klopapier! Wie das 1947 hinter den Ural kam? Wie er es organisieren konnte? Das blieb immer sein Geheimnis aber, dass es eine wirksame Lösung für das Problem war zeigte sich schon nach wenigen Tagen. Es, war ein Wunder welche wertvollen Dienste Klopapier, 1947 hinterm Ural leistete. Ohne große Entstellungen, so wie vom bayrischen Doktor vorhergesagt, heilte die Haut. Er konnte ihm nach drei Wochen sagen, das er sich wieder in den Spiegel schauen kann!

Ungeklärt blieb dabei aber auch, wie es möglich war, dass er ganze drei Wochen im Lazarett bleiben durfte. Die Lagerärztin war überall für ihren harten Umgang mit Gefangenen bekannt. Mehr als eine Woche im Lazarett? „Njet“, mit ihr nicht! Bei der Kontrolluntersuchung am zweiten Tag musterte sie ihn mit ihren kalten Augen und scharfem Blick! Dann ein Blick zum Bayern und das zweite Wunder folgte mit dem Satz: „Nachkontrolle in drei Wochen! Gott sei Dank! Denn dadurch konnte die Haut ohne weitere Erfrierungen abheilen. Im Gesicht blieben keine Narben. 

Im Gesicht blieben keine Narben!

Aus dem normalen Leben gerissen in den Krieg geschickt und am Ende über Jahre als Kriegsgefangener eingesperrt. Narben im Gesicht wären nicht schön gewesen, die erlittenen Erfrierungen waren sicher schmerzhaft. Er hat sich nie bedauert, sondern die Herausforderungen angenommen.  Nicht jammern wie manche die jetzt für ein paar Wochen zu Hause bleiben müssen, sondern immer die Möglichkeiten sehen und daraus das Beste zu machen.

Aber die seelischen Narben die der Krieg und die Gefangenschaft hinterlassen haben, haben ihn auch stark gemacht und ein Leben lang geprägt. Vieles was wir heute als unerträglich hart ansehen, hätte er mit einem Lächeln abgetan und gemeint: „Hart, dass ich nicht lache!“